Das Problem des Vielspielens

Wenn ich mit Nicht-Enthusiast*innen über mein besonderes Hobby spreche, werden oft ähnliche Fragen gestellt. “Dann bist du doch inzwischen total gut darin, oder? Wird dir das nicht langweilig?”

– oder warum Enthusiast*innen manchmal weniger enthusiastisch sind

Februar 2016: Ich studiere, habe noch nie etwas von Escape Rooms gehört und brauche einen Nebenjob. Dass ich im Supermarkt um die Ecke kassiere oder im Lager helfe, kann ich mir einfach nicht vorstellen. Ich entdecke eine Stellenausschreibung, die mein Interesse weckt, und finde mich einige Tage später bei einem Bewerbungsgespräch als Gamemaster wieder. Was ich davor nicht wusste: Ich würde meinen ersten Escape Room mit zwei mir völlig fremden Menschen spielen und dieses Ereignis würde einen riesigen Stein ins Rollen bringen. 

Es gibt diese Kernerinnerungen, die man sich jederzeit wieder ins Gedächtnis rufen kann, egal wie lange sie her sind. Vielleicht das Spielen mit dem Großvater, der erste Kuss oder das Konzert der Lieblingsband. Als wäre es gestern gewesen, finden Gefühle, Gerüche oder Bilder ihren Weg in unseren Kopf und es fühlt sich an, als wären wir wieder in genau dieser Situation. Während des besagten Bewerbungsgesprächs sollte eine dieser Kernerinnerungen bei mir entstehen. Denn ich kann mich hier und jetzt genau daran erinnern, wie meine Kinnlade herunterfiel, als ich an diesem Tag das erste Mal eine Geheimtür in einem Escape Room öffnete und wie überwältigt mich diese Erfahrung zurückließ. Ausgestattet mit einer Vorliebe für Videospiele und Rätsel und mit einer neugierigen Ader gesegnet, war ich ohne Zweifel der perfekte Kandidat, um Escape Rooms völlig zu verfallen und dies würde nur kurze Zeit später genau so passieren.

Die Magie von Escape Rooms – nur eine kurze Phase?

Dieses Gefühl, von einem Raum völlig überrascht zu werden, sich beim Erkunden wie ein*e Abenteurer*in zu fühlen und sogar schwierige Rätsel irgendwann knacken zu können… genau diese Elemente waren es, die dazu führten, dass ich mich nun über 6 Jahre später einen Escape-Room Enthusiasten und Blogger nennen darf. Ich arbeite hartnäckig daran, meine 200er Marke zu knacken und hatte die Ehre, schon einige der Elite-Räume Europas spielen zu dürfen. Was hat sich seit dem ersten Escape Room verändert?

Wenn ich mit Nicht-Enthusiast*innen über mein besonderes Hobby spreche, werden oft ähnliche Fragen gestellt. “Dann bist du doch inzwischen total gut darin, oder? Wird dir das nicht langweilig?” ist eigentlich immer dabei. Und auch der Irrglaube, es gäbe bei Escape Rooms “nur das eine Rätsel”, hält sich im Smalltalk hartnäckiger, als gedacht. Doch steckt in diesen Vorurteilen vielleicht auch ein Fünkchen Wahrheit?

Abgesehen davon, dass das Endergebnis eines Escape-Room-Besuchs zweifellos immer eine Leistung der gesamten Gruppe ist, zu der ich in meiner gewohnten Clique nur einen kleinen Teil beitrage, sind natürlich die Rätsel nicht immer gleicher Natur und auch immer unterschiedlich schwierig, als auch unterschiedlich zusammengesetzt.

Es ist dennoch zutreffend, dass sich nach einigen Spielen ein gewisser Lerneffekt einstellt. Je mehr man spielt, desto mehr Rätseltypen lernt man kennen und weiß sie hoffentlich auch irgendwann zu bewältigen. Besonders bei Spielen, die sich auf Schlösser und Codes limitieren, ist die Summe der Rätselarten überschaubar und die Ergebnisse führen letztendlich immer wieder auf Zahlen, Buchstaben, Farben oder Richtungen zurück. Auch, wenn sich Rätsel natürlich so gut wie nie richtig gleichen, lernt man mit der Zeit doch, Muster zu erkennen und vor allem lösungsorientierter zu “arbeiten”. Statt wie am Anfang meiner Escape-Room-Karriere völlig planlos Gegenstände zu untersuchen, um die Rätsel überhaupt erstmal zu finden, verändert sich die Spielweise mit der zunehmenden Spielerfahrung enorm. Nicht nur Rätsel, sondern auch ganze Räume können nun schnell in Schubladen gesteckt werden, deren Kriterien in einer imaginären Akte zusammengetragen und immer weiter ergänzt werden. Sobald ich beispielsweise einen Raum betrete, scanne ich als allererstes alle Gegenstände auf Zahlen- und Vorhängeschlösser. Weiß ich, dass ein Raum mit Schlössern arbeitet, gehe ich ganz anders an die Rätsel heran und versuche, mich auf das Finden von Zahlen, Buchstaben, Richtungen oder anderen eingebbaren Kombinationen zu fokussieren. Sollte ich keine Schlösser entdecken können, oder vielleicht schon wissen, dass der Raum ohne Schlösser arbeitet, gehe ich direkt intuitiver ins Spiel und versuche mehr auszuprobieren, Gegenstände umzustellen oder miteinander zu kombinieren. Insofern haben Vielspieler*innen sicherlich Anfänger*innen etwas voraus, doch es ist auch dieses schematische Denken und das “Prozesse von hinten aufrollen”, das durchaus seinen Preis fordert.

Was beim ersten Mal ein unschlagbares Highlight war, wird beim 5. Mal schon nur noch als cooler Zusatz empfunden und ist beim 10. Mal vielleicht schon Qualitätsstandard.

Wasserwaage

Viele Escape-Room-Anbieter versuchen bei ihren Kund*innen dieses besondere Gefühl zu erzeugen, das ich damals auch beim Öffnen meiner ersten Geheimtür empfand. Dabei wird nicht nur mit versteckten Raumübergängen experimentiert: Fake-Türen, Spiele über mehrere Etagen, Treppen, Rutschen, sich verändernde Räume – wir haben alles schon erleben dürfen. Was dabei zählt: die Spielenden können die nächsten Spielschritte nicht mehr voraussagen und erfahren ein für sie neues Spielerlebnis. Ein guter Escape-Room spielt also mit den Gedanken und Erwartungen der Entdecker*innen, versucht diese in die Irre zu führen und nutzt die daraus resultierende Ahnungslosigkeit für sich. Was viel schlimmer klingt, als es eigentlich ist, macht die Magie aus und trägt maßgeblich zur Immersion eines Raumes bei. Vielspieler*innen sind in dieser Hinsicht häufig benachteiligt, denn wer schon mal eine Tür im Schrank gefunden hat, vermutet auch im nächsten Schrank eine Geheimtür. Mechanismen werden viel schneller gesehen und analysiert, große Möbelstücke sind grundsätzlich verdächtig und werden doppelt und dreifach untersucht, und klebt ein Türstopper an der Wand, muss in der Nähe auch irgendwo etwas aufgehen. Was beim ersten Mal ein unschlagbares Highlight war, wird beim 5. Mal schon nur noch als cooler Zusatz empfunden und ist beim 10. Mal vielleicht schon Qualitätsstandard. Rillen in der Wand könnten öffnende Türen verbergen, Scharniere haben immer einen Zweck und eine Kamera ist immer auf einen Teil des Spiels gerichtet, der wichtig ist. Umso schöner ist es, wenn man doch mal von Spielen überrascht oder sogar ausgetrickst wird. Diese Momente punkten bei mir persönlich enorm, gerade weil sie so selten geworden sind, was sehr schade, aber nun mal ein Ergebnis des Vielspielens ist. Und es geht tatsächlich auch anders herum: Was den meisten Vielspieler*innen regelmäßig indoktriniert wurde, kann ihnen auch mal zum Verhängnis werden. Wer beim 10. Spiel im Intro hört, dass über 2 Meter Höhe keine Hinweise zu finden sind oder, dass keines der Bilder von der Wand abgehängt werden muss, der hört ab dem 11. Spiel auf, an die Decke zu schauen oder die Bilder abzuhängen. Dass sich genau bei diesem Spiel hinter dem Porträt ein Safe in der Wand verbirgt, ist dann Pech, kostet die Enthusiast*innen einen Tipp der Spielleitung und ist den Erstspieler*innen wahrscheinlich viel früher aufgefallen.

[…] im Laufe der Zeit entwickelt sich nicht nur die eigene Spielerfahrung weiter, sondern auch die Escape Room Szene an sich.

Wasserwaage

Besonders schwierig wird es, wenn sich die eigene Spiellaufbahn über mehrere Jahre erstreckt und die Kluft zwischen guten und nicht so überzeugenden Spielen immer größer wird, denn im Laufe der Zeit entwickelt sich nicht nur die eigene Spielerfahrung weiter, sondern auch die Escape Room Szene an sich. In unserer Gruppe wurde dieses Phänomen besonders deutlich, als der andere Teil der Gruppe 2022 ein Spiel spielte, das ich bereits 2018 geschafft und als besonders positiv in Erinnerung hatte. Natürlich ist es unmöglich, sich nach all den Jahren an alle Kleinigkeiten eines Spiels zu erinnern, doch ich war davon überzeugt, dass es eine Empfehlung wert und das Spiel “sicherlich gut gealtert wäre”. Dass meine Teamkolleg*innen sich wenig begeistert nach der Hälfte der Spielzeit zurückmeldeten und kaum positive Worte über das Spiel verloren, ließ mich an mir selbst zweifeln. Nach etwas Grübelei kam ich schließlich zu dem Fazit, dass nicht ich das Problem war, sondern die zeitversetzte Erfahrung Schuld an den verschiedenen Erlebnissen war. 2018 hatte mich dieses Spiel mit Sicherheit zurecht überrascht und wurde daraufhin auch kurzzeitig zu einem meiner damaligen Lieblingsspiele. Doch die lückenhafte Erinnerung an dieses Spiel trügte mein neu erworbenes Einschätzungsvermögen. Hätte ich dieses Spiel 2022 ebenfalls zum ersten Mal gespielt, wäre ich wahrscheinlich ähnlich wenig aus dem Häuschen gewesen, da mein Anspruch und meine Erfahrung sich nun auf einem völlig anderen Level befinden, als noch vor einigen Jahren. Fast schon ein empirischer Beweis dafür, dass Spiele, die (ob wegen der innovativen Elemente oder nur wegen der mageren Erfahrung der Spielenden) überraschen, deutlich mehr punkten können, als Spiele, die sich bereits bekannten Gimmicks bedienen. Mit wachsender Erfahrung wird zwangsläufig auch der Blick kritischer.

Die Kunst dabei ist es, nicht abzustumpfen und doch jeden Raum mit derselben Neugier zu bestreiten, die man bei den ersten Spielen verspürt hat.

Wasserwaage

Sich Enthusiast*in nennen zu können, ist meiner persönlichen Erfahrung nach eine Gratwanderung zwischen “bei grundsätzlich jedem Escape Room viel mehr Spaß und Genugtuung empfinden, als Nicht-Enthusiast*innen” und “bei durchschnittlich guten Escape Rooms viel kritischer sein, als Nicht-Enthusiast*innen, weil man schon deutlich bessere Räume gespielt hat”. Die Kunst dabei ist es, nicht abzustumpfen und doch jeden Raum mit derselben Neugier zu bestreiten, die man bei den ersten Spielen verspürt hat. Ich kann nicht ändern, dass ich als Vielspieler schon einige Geheimverstecke beim Betreten eines Raumes erspähe und nicht total überrascht bin, dass wo anders etwas aufgeht, wenn ich die Schachfigur auf das richtige Feld stelle. Aber ich kann mich durchaus in mich selbst vor einigen Jahren versetzen und einschätzen, ob ein Spiel bei mir dieses spezielle Gefühl ausgelöst hätte. Die Begeisterung schwindet zum Glück nicht, nur weil man schon viele Erfahrungen gesammelt hat und nach 6 Jahren Erfahrung, kann ich selbstsicher sagen, dass sich der Prozess des Spielens vielleicht verändert hat und nicht mehr jedes Spiel überraschen kann, aber jeder kleine Versuch dessen wird in meinem Kopf abgespeichert und füttert die nostalgische Erinnerung an meine erste Geheimtür.

Links: Escape Stories 2018, Rechts: Escaping Belgium 2022

1 Kommentar

ein sehr treffender Text. ich sehe das genauso. Leider erwarten eine Leute plötzlich überall „The Room“ und sind dann maßlos enttäuscht. Dabei kann man auch Top-Räume kritisch betrachten.
und genauso kann ein liebevoll selbstgebauter Raum ein echtes Erlebnis sein. Es ist wie bei Filmen und Serien. Nicht alles ist hat ein Millionenbudget aber vieles kann auch ohne großes Geld viel Spaß machen, wenn die Geschichte stimmt und man die Liebe und Freude der Erschafferinnen spürt.

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